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Sofia Andruchowytsch gewinnt Hesse-Preis 2024!

Sofia Andruchowytsch gewinnt Hesse-Preis 2024!

Unsere Autorin Sofia Andruchowytsch und ihre ÜbersetzerInnen Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck wurden mit dem "Internationalen Hermann-Hesse-Preis 2024" der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung ausgezeichnet. Wir freuen uns außerordentlich und gratulieren der Autorin sowie dem Übersetzer-Team herzlich!

Jurybegründung:
"Die Jury hat sich einstimmig für die Verleihung des Internationalen Hermann-Hesse-Preises an die Autorin Sofia Andruchowytsch und an ihren Übersetzer Alexander Kratochvil sowie ihre Übersetzerin Maria Weissenböck für die „Die Geschichte von Romana“ und „Die Geschichte von Uljana“ entschieden. Beide Bände sind Teil des „Amadoka-Epos“, dessen dritten Teil „Die Geschichte der Sofia“ der Residenz Verlag  im Oktober 2024 auf Deutsch vorlegen wird. Im ukrainischen Original ist der Roman in einem Band 2020 unter dem Titel „Amadoka“ in Lwiw erschienen.
In umgekehrter Chronologie verfolgen wir anhand von drei Frauengenerationen, von Romana, Uljana und Sofia, die traumatischen Phasen der Geschichte, die das kollektive Gedächtnis der Ukrainer:innen geprägt haben: den Krieg in der Ostukraine, den Holocaust und den Stalinismus.
Auf formal vielfältige und beindruckend komplexe Weise entwirft das „Amadoka-Epos“ ein weitgespanntes Panorama der Ukraine im 20. Jahrhundert. Die Archivarin Romana, die sich im ersten Teil des Romans zur allwissenden Erzählerin entwickelt, übernimmt die Rolle der mehr oder weniger sichtbaren Erzählerin des gesamten Epos. Sie erzählt Bohdan, der im Krieg sein Gedächtnis verloren hat und in dem sie ihren Ehemann wiedergefunden zu haben glaubt, seine und die Geschichte seiner Familie. Dabei findet eine Aneignung statt, in der wir Erinnerung als korrumpierbare Erzählung begreifen. Im zweiten Teil des Romans lässt Romana anhand von Fotografien Bohdans Urgroßvater, seine Tochter Uljana und ihre große Liebe, den jüdischen Jungen Pinkas, aus ihren Leben während der deutschen Besatzung berichten. Das Epos unterwirft sich so der Kritik durch die Leser:innen: Jede und jeder von ihnen wird aufgefordert, den Wahrheitsgehalt des Erzählten anzuzweifeln. Damit schreibt sich Sofia Andruchowytsch auf eine hoch differenzierte Weise in den prominenten Erinnerungsdiskurs der ukrainischen Gegenwartsliteratur ein und zugleich kommen Fragen auf, die nicht nur in der ukrainischen Literatur verhandelt werden: Wie können wir über Schuld sprechen? Müssen wir uns erinnern oder sind wir glücklicher, wenn wir vergessen? Welche Versionen von Vergangenheit schaffen wir, um überleben zu können?
Das „Amadoka-Epos“ ist nach „Der Papierjunge“ (im ukrainischen Original „Felix Austria“, 2014, dt. 2016), der Anfang des 19. Jahrhunderts in Galizien spielt, Sofia Andruchowytschs zweiter ins Deutsche übersetzter Roman. Beide Bücher zeugen von der Sprachkraft, Erfindungsgabe und Ambition der 42-jährigen Autorin. Damit knüpft Geschichte(n)erzählen an eine starke mitteleuropäische Erzähltradition an, wie man sie von meist männlichen Autoren kennt, dem Tschechen Milan Kundera etwa oder dem Slowenen Drago Jančar.
Dem Übersetzer-Team Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck gelingt es, das sehr differenzierte Sprachregister des „Amadoka-Epos“ virtuos ins Deutsche zu übertragen. Die historischen Stimmen und Tonlagen aus 100 Jahren treffen sie ebenso wie die unterschiedlichen Erzählkonstruktionen, die lässig oder unzuverlässig sind, schlicht oder raffiniert, gebannt von den historischen Gräueln und stark in der Suche nach dem eigenen Glück. Sowohl Kratochvil als auch Weissenböck sind seit Jahren prominente Vermittler:innen ukrainischer Literatur für eine deutschsprachige Leserschaft."