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1. Mai 2020
Barbara Frischmuth, Altaussee
CORONA hoch unendlich
Wenn ich morgens mein IPad öffne, dominiert Corona, wenn ich mittags die Nachrichten höre, höre ich fast nur über Corona, wenn ich abends den Fernseher einschalte, ist es noch immer Corona – flächendeckend. Sich Corona zu entziehen ist unmöglich.
Dennoch versuche ich, zumindest so lange ich nicht selbst infiziert werde, mich von Corona nicht beherrschen zu lassen, von diesem Untoten, der sich sein Leben von anderen borgen muss, unangenehm und gefährlich, und den man nicht unterschätzen darf.
Dabei habe ich gut lachen, keine Enkel, die ich gerne bei mir hätte, aber nicht dürfte, keine verordnete Einzelhaft, es sei denn die freiwillige vor einem Schreibgerät, kein Weggesperrtsein, sondern vernünftiger Verzicht auf leibliche Kontakte. Eine Landschaft mit vielen Spazierwegen, auf denen kaum einer geht, und last but noch least einen nicht zu kleinen Garten, der mich absolut fordert, sobald ich auch nur zum Fenster rausschaue. Ein Blick genügt, um mindestens drei Baustellen auszumachen, die zu bearbeiten in den nächsten Stunden dringend vonnöten wären. Und damit ich nicht nur meinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachkomme und auch etwas von ihm habe, bietet der Garten mir jede Menge essbarer Beikräuter (political uncorrect: Unkräuter) an, vom invasiven Giersch, über den zackigen Löwenzahn, das zarte rundliche Grün des Scharbockskrauts (so noch nicht vergilbt und vertrocknet), die leicht runzligen Blätter des Wiesenknöterichs sowie die der ebenfalls runzligen Schlüsselblumen bis hin zum haarigen Beinwell, den aggressiven Brennesseln und dem glänzendblättrigen Bärlauch.
Wozu ich in den letzten Jahren nie Zeit fand, nämlich diese sogenannten naturbelassenen Nahrungsmittel roh oder blanchiert, geschnitten oder püriert zu essen, gehört jetzt zu den Mahlzeiten. Ich teste sie alle auf ihre Verträglichkeit, mit den üblichen Ergebnissen, und werte sie im Gespräch mit anderen damit auf, dass diese Art von hyper food in keinem Supermarkt angeboten wird, weil zu arbeitsintensiv. Schließlich muss man es sich aus den kaum gejäteten Beeten selber holen.
Für mich ähnelt Corona einem Kometen, den die Astronomen übersehen haben und der nicht vorbeigeflogen ist, sondern auf unserer Erde eine Bruchlandung hingelegt hat, die die Astronomen und uns Erdbewohner noch lange bedrängen wird.
Wer oder was hat diese Bruchlandung ausgelöst? Die überdimensionalen CO2- und Methangasausstöße? Unsere industrialisierte Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und bedrohlichen Giften, die immer wieder mit neuem Namen auf den Markt kommen, damit wir ja nicht gleich feststellen können, in was wir beim Essen beißen? Oder hängt alles mit dem Zuviel zusammen, das zu Abfall wird, ohne unserem Mikrobiom je begegnet zu sein? Oder mit der rücksichtslosen Ausbeutung aller Ressourcen unseres Planeten, ohne in Betracht zu ziehen, dass diese endlich sind?
Michel Serres, Begründer einer philosophischen Ökologie, hat bereits 1994 in seinem Buch ‚Der Naturvertrag’ einen solchen eingefordert und damit einen anderen Umgang mit der Welt, respektive mit dem ERD-PLANETEN. „Jene, die heute die Macht unter sich aufteilen, haben eine Natur vergessen, von der man sagen könnte, dass sie sich rächt.“ Und weiter: „Gerade in dem Augenblick, da wir zum ersten Mal physisch auf die globale ERDE einwirken und sie fraglos auf die globale Menschheit zurückwirkt, vernachlässigen wir sie auf tragische Weise.“
Darüber nachzudenken, lässt Corona auf ein Symptom unter vielen schrumpfen. Zum Glück gibt es Ärzte, die auch noch Biologen und Pathologen sind, die sich dem globalen Dilemma mit wesentlich breiter gestreuten Symptomen als jenen von mutierenden Viren (die aber möglicherweise auch damit zusammen hängen) widmen.
Ich meine damit vor allem Martin Grassberger und sein Buch „Das leise Sterben“, das uns mit seinen Thesen zu den häufigsten nicht übertragbaren Krankheiten, die weltweit insgesamt mehr Todesfälle generieren als Corona, vor Augen führt, wie sehr wir von dieser von uns so vernachlässigten Natur abhängig sind.
Ich gebe zu, dass dieses Buch mich mehr beschäftigt als das Corona-Virus mit all seinen Tücken, das aber nur eines der Symptome darstellt, die wir Erdbewohner uns eher willentlich als wissentlich eingebrockt haben.