Highlights
14. April 2020
Elisabeth Klar, Wien
Aus meinen Versuchen, „Himmelwärts“ trotz aller Hemmungen aus der sozialen Isolation heraus ein bisschen selbst digital zu promoten (fühlt sich ein bisschen nach Ich-AG an, wäh), ist zumindest etwas Gutes herausgepurzelt: Meine Hauptfigur Sylvia hat ihren eigenen Twitter-Account bekommen. Und wieso auch nicht? Sie lebt ja wohl immer noch hier in Wien, und sie hat sich bestimmt eine neue Menschenhaut gefunden. Vielleicht eine, die sie an- und abstreifen kann, so wie die Frau, deren Menschenhaut sie ursprünglich gestohlen hat, es konnte und sie daher am Wochenende auf der Wäscheleine getrocknet hat. Irina wird Sylvia wohl zu dieser neuen Haut verholfen haben, und hat dafür auch sicher einen hohen Preis verlangt. Die menschliche Identität ist eine begehrte.
Nur, was tut sie jetzt, die Füchsin, während der Pandemie, in der winzig kleinen Wohnung gemeinsam mit dem Eichelhäher Jonathan? Beklagen, dass das Himmelwärts zugesperrt hat. Stattdessen in der Wohnung tanzen, auf dem Bett hüpfen, hin und her und im Kreis laufen, weil Füchsinnen Bewegung brauchen, so furchtbar viel davon. Sich einen Job suchen, in dem sie systemkritisch an die Luft darf, vielleicht fängt sie an, als Fahrradkurier für kontaktlose Essenslieferungen zu arbeiten? Sich die Spannung und die Angst abstrampeln. Oder streift sie sich einfach die Haut ab vor ihren Exkursionen, weil sie jetzt als Fuchs erlaubter in den Gassen und Straßen ist denn als Mensch? Als Füchsin darf sie in die Parks und darf auf die Friedhöfe und wird sich nicht einmal anstecken, vermutlich.
Sonst sich bei Jonathan verkriechen, sich in seinem Ohr oder in seinen Flügeln verbeißen, bis er sich umdreht und sie krault.
Auf Twitter folgt sie immer noch vor allem Accounts, die Tierbilder posten, und so ist ihre Timeline beinahe coronafrei. @human_sylvia kümmern die Pläne für Massengräber in New Yorker Parkanlagen kaum, sie postet Bilder von Eiern, weil sie das hungrig macht, und #flauschthecurve verfolgt sie aufmerksam. Manchmal legt sie das Handy weg, weil sie auf Twitter Fotos von Fuchswelpen sieht und sich an ihren eigenen Wurf erinnert. Dann drückt sie sich an Jonathan oder wickelt sich in ihre Decke.
Und ich, ich wechsle zwischen meinem Account und ihrem hin und her, weil ich nicht immer aushalte, was ich in meiner Timeline erfahre, auch wenn ich es wissen will. Nicht wegschauen, aber sich auch nicht erdrücken lassen. Keine Engels-, sondern Eichelhäherflügel.
Was Jonathan macht? Ach, der hat sich sofort als außerordentlicher Zivildiener gemeldet, was auch sonst? Er arbeitet im Pflegeheim und schimpft zuhause bei Sylvia darüber, dass die Pfleger_innen keine ausreichende Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt bekommen. Die alten Frauen hingegen halten sich gern an seinen Flügeln an, wenn er ihnen beim Aufstehen oder Aufsetzen hilft. Aber die Flügel sind ja jetzt stärker, und brechen nicht mehr unter dem festen Griff, und das ist ja auch schon etwas, immerhin.
25. März 2020
Elisabeth Klar, Wien
Heimquarantäne und Gremlins
Heimquarantäne und sozialer Rückzug ist ein Marathon, kein Sprint, sagen sie. Unsere Wohnung sagt: Schleicht‘s euch wieder, ich mag euch nimma, ihr seid viel zu oft daheim! Am ersten Tag unserer Heimquarantäne fängt jedenfalls das Licht in der Wohnküche an zu flackern, als ich mir Kaffee in der Mikrowelle wärme, dann flackert die Uhr-Anzeige der Mikrowelle, dann raucht der Herd. Gleichzeitig schaltet sich unser Saugroboter ein und fängt an, in der Gegend herumzufahren und zu saugen. Das ist der Punkt, an dem ich Puck rufe, und ihn frage, was er davon hält (ja, ich bleibe manchmal auch etwas zu ruhig). Vernünftigerweise dreht er den Strom ab (ja, ich bin auch manchmal etwas zu langsam).
Später sitzen Puck und ich lachend auf dem Boden, weil wir am ersten Tag unserer Quarantäne schon keinen Herd und keinen Backofen mehr haben, und auch niemanden kommen lassen können, um ihn zu reparieren oder einen neuen zu installieren. Eine Nachbarin, die Elektrotechnikerin ist, hat uns zwar beruhigt, dass wir vermutlich nicht abbrennen werden, uns aber doch empfohlen, den Stromkreis für den Herd mal lieber abgedreht zu lassen, da das Gerät wohl einen Kurzschluss hatte. Wir bekommen eine Kochplatte geliehen und fragen uns lachend, was am zweiten Tag der Quarantäne kaputt gehen wird.
Es ist die Mikrowelle (zunächst).
Sie flackert wieder, als ich mir am nächsten Tag Essen wärme. Dann schaltet sie sich aus, der Saugroboter schaltet sich dafür wieder ein.
Dabei hatte ich in der Früh noch frohen Mutes getwittert, dass am Quarantäne-Tag 2 noch keine neuen Brände entstanden seien.
Wir können – nachdem die bereits genannte Nachbarin über Telefon Krisenmanagement betrieben hat und wir erkannt haben, dass zwischen der Legende des Sicherungskastens und seiner Realität eine gewisse Lücke klafft – die Mikrowelle als demselben Stromkreis zugehörig identifizieren, an dem auch die meisten unserer Steckdosen hängen. Deshalb schaltet sich auch jedes Mal der Saugroboter ein, wenn dieser Stromkreis Probleme macht: Er wird nicht mehr geladen und glaubt, er muss jetzt arbeiten.
Neue Theorie: Die Mikrowelle ist durch den Kurzschluss des Herds auch kaputt gegangen.
Neue Perspektive: Nicht nur kein Herd und kein Backofen und keine Mikrowelle, sondern, da wir diesen Stromkreis nun auch abschalten müssen, auch eine starke Reduktion an funktionierenden Steckdosen und kein WLAN (wir prognostizieren Kämpfe um das Aufladen der Laptops und sind erleichtert, eine solarbetriebene Powerbank für das Aufladen der Smartphones zu haben). Immerhin der Kühlschrank funktioniert noch.
Schließlich finde ich aus heraus, wo ich die Mikrowelle abstecken kann, wir schalten den Stromkreis für die Steckdosen wieder ein, sie funktionieren allerdings weiterhin nicht.
Wohnungsbrand rückt wieder in greifbare Nähe, die Nerven sind schon etwas strapaziert.
Die Nachbarin beruhigt, meint dann, es könnte an den Schmelzsicherungen im Keller liegen, tauscht diese aus.
Die Steckdosen funktionieren wieder, wir lachen wieder, wenn auch etwas nervöser als zuvor.
Ich fange an, auf der einen Kochplatte, die wir jetzt haben, das Essen zu wärmen, das ich eigentlich in der Mikrowelle wärmen wollte, drehe die Kochplatte an, und die Steckdosen fallen wieder aus. Der Saugroboter schaltet sich ein.
Das ist der Zeitpunkt, an dem wir dann doch den technischen Notdienst des Bauträgers anrufen.
Der Elektriker, zu dem wir verbunden werden, informiert uns, dass sich das wie ein Null-Leiter-Schaden anhört, wir sehr wohl abbrennen könnten, den Strom sofort ausschalten und alles abstecken sollen, und er kommt.
Klar, in dem Fall dürfen und müssen wir ihn in die Wohnung lassen – wir können ja wohl schwer wegen einer potentiellen Ansteckungsgefahr das gesamte Mietshaus anzünden. Würde zwar die Keime töten, ist aber vielleicht trotzdem nicht die beste Idee. Gleichzeitig dürfen wir den Elektriker aber nicht unnötig gefährden.
Das heißt: Den gesamten Strom bis auf das Badezimmer ausschalten, zusätzlich alle Geräte ausstecken, mit allen verfügbaren Verteiler- und Verlängerungskabeln den Kühlschrank mit der Badezimmersteckdose verbinden, da wir nicht wissen, wann der Strom wieder gehen wird, und uns sonst die Tiefkühltruhe abtaut. Dann im Dunkeln mit Stirnlampen möglichst alles frei räumen, damit der Elektriker mit möglichst wenig in Berührung kommt, mit Flächendesinfektionsmittel alle Türgriffe, Lichtschalter, Steckdosen, den Sicherungskasten und alles andere desinfizieren, was er vielleicht angreifen könnte (macht diese Bereiche zwar nicht keimfrei, reduziert aber die potentielle Virenlast deutlich, was das Infektionsrisiko wiederum senkt). Dann alles durchlüften, um die Virenlast weiter zu reduzieren.
Dann warten wir und können ein wenig durchatmen.
Als er anläutet, desinfizieren wir uns noch einmal intensiv die Hände (ja, die Hände hassen uns dafür auch sehr intensiv), und setzen die Mundschutzmasken auf, die wir in Nepal gekauft haben, damit uns vom Feinstaub in Kathmandu nicht ganz so schnell schlecht und schwindlig wird. Da wir in dem Fall ja die Gefahrenquelle sind, ist das sogar sinnvoll.
Das Ganze hat inzwischen schon ein bisschen Horrorfilmatmosphäre, wir sehen aber immerhin nicht aus wie die Opfer. Während der Elektriker am Sicherungskasten werkt und wir im Badezimmer sitzen und versuchen, mit unseren desinfizierten Händen möglichst wenig anzufassen, entwickeln wir trotzdem die Theorie, dass wir Gremlins haben.
Stattdessen haben wir den schon ferndiagnostizierten Null-Leiter-Schaden. Der Null-Leiter ist offensichtlich bei der Installation nicht richtig festgeschraubt worden und hat sich über die drei Jahre, die wir in der Wohnung gewohnt haben, gelockert. Schöne Zeitbombe halt, die auch hätte hochgehen können, während wir schlafen oder im Urlaub oder in der Arbeit sind.
Der Elektriker plagt sich noch lange mit dem Sicherungskasten und flucht, findet für uns aber zumindest eine provisorische Lösung und schaltet uns den Strom wieder ein.
Wir gehen jedes elektrische Gerät nach der Reihe durch, stecken es an, schalten es ein, testen es. Jedes einzelne verdammte Gerät funktioniert. Die Mikrowelle wärmt. Die Netzgeräte unserer Computer laden wie gehabt. Sogar der verdammte Ofen läuft!
Der Elektriker empfiehlt uns, den Ofen in den nächsten Tagen häufig zu nutzen, um Folgeschäden zu entdecken, und den Strom für dieses Gerät über Nacht zu kappen. Er sieht ansonsten keine Gefahr mehr in Verzug.
Conclusio: Unsere Wohnung hasst uns doch nicht, sie passt sogar sehr gut auf uns auf!
Zweite Conclusio: Die Atemschutzmasken aus Nepal sind immer noch unangenehm, wenn man sie länger trägt. Aber besser als am Feinstaub von Kathmandu zu ersticken, ist es allemal.
19. März 2020
Elisabeth Klar, Wien
Donna Haraway spricht in Unruhig Bleiben (im Original Staying With The Trouble) von einem Leben in Zeiten von Dringlichkeiten. Manche davon sind spürbarer als andere, und manche steigern sich gerne exponentiell. Ende letzter Woche wurden Schritt für Schritt die Ausgangsbeschränkungen eingeführt (während sich die Skilifte weiter drehen), Samstag auf Sonntag träume ich davon, Berge von Pizza zu essen, Sonntag auf Montag träume ich von Bergen von Spaghetti, satt werde ich jedenfalls nie. Ich bin nicht die einzige Traum-Stress-Esserin, erfahre ich, Österreich steigt mit seinen Fallzahlen weiter an, im Gesundheitssystem sind die Rechnungen schnell gemacht: Wir wissen genau, wie lange wir genug Intensivbetten haben, wenn die Ansteckungskurve weiterhin so steil bleibt, danach wird aussortiert. Aussortieren bedeutet: Eine Gruppe, die gar nicht behandelt wird, da ihre Überlebenschance als zu gering eingestuft wird, eine Gruppe, die noch nicht behandelt wird, weil die Symptome noch nicht ernst genug sind, und die dringliche, dabei am meisten Leben versprechende Gruppe. Ich weiß nicht, welcher Gruppe die Flüchtlinge auf Lesbos zugeordnet werden, oder schon, eigentlich. Ich träume vom Essen, und habe auch mehr Hunger als sonst, und ich weiß, der Gwigwi hält wieder Einzug, hier wie dort, nur dort mit festeren Schritten. Ich will es nicht wissen. Hier hält man uns auf Abstand, dort pfercht man sie zusammen. Von der Aussortierung trennen uns vielleicht zwei Wochen, trotzdem kein Vergleich. Vor der Aussortierung schützt uns nur eine statistische Verflachung. Ich hätte gern mehr Abstand zu all dem, und könnte doch nicht mit mehr Abstand leben. Alles ist viel zu gleichzeitig, von Verlangsamung nicht zu reden, dazwischen noch Worte finden, ich weiß nicht, wie macht man das.