Highlights
4. April 2020
Klaus Oppitz, Wien
DIE ZEIT DES KNOBLAUCHS
Aus einer Tageszeitung lächelt mir ein Mann entgegen. Sein Blick demonstriert grenzenloses Glück. Der Mann ist leicht übergewichtig, um die fünfzig Jahre alt, mit einem blauen T-Shirt bekleidet. Das Foto muss an einem jener warmen Tage entstanden sein, die immer wieder die Kältewelle unterbrechen.
Die linke Hand des Mannes schmiegt sich an einen Zopf Knoblauch. Er hat den Knoblauch sichtlich gern. Sein Knoblauch macht ihn glücklich. Er ist Knoblauchbauer. Vermutlich ist sein Glück auch mit einer Prise Erleichterung durchsetzt. In der Unterzeile bedankt er sich bei einer Handelskette. Sein Betrieb gedeihe weiter, selbst in der Corona-Krise. Dank der Handelskette.
Er strahlt. Strahlt so sehr, überstrahlt so sehr alles, dass ich erst spät die Frau neben dem Knoblauch bemerke. Dünn in einer weißen Bluse, die überall Falten wirft, wo mehr Frau sein sollte, ihr Gesicht gegen die roten Backen des Mannes geisterblass, die brünetten Haare nach hinten in einem Zopf versteckt. Die Frau des Mannes. Links unten im Bild blitzt seine Hand hervor, die er, den Arm hinter den Rücken der Frau gefädelt, in der Nähe ihrer Hüfte positioniert hat. Die Hand schwebt über der Hüfte, der Mann berührt sie nicht. Er berührt alleine seinen Knoblauch. Auch die Frau lächelt, aber ihr Blick wirkt verkrampft, die Augen zu Schlitzen zusammengezogen. Ihre rechte Hand abgewinkelt auf den oberen Teil des Knoblauch-Zopfs gelegt, als würde sie ihn von sich wegstoßen wollen. Den Knoblauch mitsamt dem Mann. Ihr Mund im Lächeln geöffnet. Vielleicht lächelt sie auch gar nicht, vielleicht wurde ihr Gesicht in einem Moment des Protests eingefroren, bevor sie ihn noch richtig artikulieren konnte.
Das Foto ist Teil einer doppelseitigen Werbeanzeige der Handelskette. Trotzdem fügt sich die Werbeanzeige nahtlos ins Blattinnere der Zeitung ein. Wie Knoblauch in einen Vanillerostbraten.
Wie sieht wohl ihr Leben aus? Das Leben der Frau, des Mannes, des Knoblauchs. Ich bin mir sicher, sie wohnen weit draußen, inmitten einer ländlichen Idylle, in einem schmuck renovierten Vierkanthof, nach allen Himmelsrichtungen umgeben von einer riesigen Knoblauchplantage. Wie Baumwollkönige in den amerikanischen Südstaaten. Nur mit Knoblauch.
Kommt der Mann am Abend vom Feld, nachdem er nach den Knollen gesehen, zärtlich ihre Blätter gestreichelt, ihnen gut zugeredet, ihnen Mozart vorgespielt hat? Kann er es auch dann nicht lassen, vom Knoblauch zu schwärmen, der doch im Zentrum seines Glücks steht? Erduldet seine Frau diese Schwärmerei? Sagt nichts, seit Jahren, weil sie begreift, wie ernst es ihm ist, dass hinter dieser demonstrativen Zuneigung zum Knoblauch keinerlei Botschaft steckt. Keine Kritik. Keine Unzufriedenheit über ihre Ehe. Hat sie längst verstanden, dass es einfach so ist? Dass sie gegen seine wahre Liebe nie eine Chance haben wird. Das Leben der Frau scheint nicht groß, es passt auf dieses Foto. Nichts bleibt ausgelassen. Wären da Kinder, sie müssten ganz sicher mit aufs Bild. Adrett herausgeputzt, mit Knoblauchkränzen im Haar.
Trotzdem muss die Corona-Krise auch dieses Leben verändert haben. Vielleicht hat sich die Frau früher an Nachmittagen mit Freundinnen getroffen und ihnen ihr Herz ausgeschüttet. Andere Frauen. Frauen, die sie verstehen. Die Frau des Kürbisbauern, die Frau des Tomatenbauern, die Frau des Gurkenkönigs. Nun kann sie bestenfalls mit ihnen telefonieren, aber das ist nicht dasselbe, wie auch das Angebot von Psychotherapeutinnen, die Behandlung ihrer Klienten per Telefon weiterzuführen, nur sehr spärlich angenommen wird.
Die Frau muss erkennen, dass sie nun, in Zeiten des Virus, auf sich selbst zurückgeworfen ist. Dass sich ihr Alltag endgültig auf ihren Mann und seinen Knoblauch verengt hat. Sie versucht, mit ihm zu reden, aber welche Themen gibt es denn? Zur Zeit nur das eine. Das, das das Fernsehen liefert. Das Virus. Wo es sich ausbreitet. In Italien besonders schlimm. Der Mann nickt. Wohlwollend. Italien. Er mag Italien. Auch dorthin verkauft er seinen Knoblauch und der Bedarf hat trotz der Krise nicht nachgelassen. Im Kopf der Frau schwimmt das Bild eines Italieners nach oben. Er liegt zuhause in seinem Bett. Seine Haut sieht ungesund feucht aus, er leidet an Covid-19. Im Endstadium, er kann kaum noch atmen. Es gibt kein Beatmungsgerät für ihn, noch nicht einmal ein Krankenzimmer. Aber es gibt Knoblauch. Noch im Sterben klammert er sich an einen Knoblauchzopf. So ist er auch in der Quarantäne nicht alleine. Der Knoblauch spendet ihm Trost. Der Italiener lächelt, während er im trockenen Bett an sich selbst ertrinkt.
So hat sie sich ihre Ehe nicht vorgestellt. Sie hat ihren Mann als tatkräftig kennengelernt, mit seinen kräftigen Händen, von Jahren der Knoblauchernte gestärkt, als humorvoll, wenn er jedes Gespräch auf Knoblauch lenken konnte. Was sie anfangs für Spaß hielt, steckt in Wahrheit tief in ihm drinnen, ist Baustein seines Seins. Seine DNA-Kette ist ein Knoblauchzopf.
Die Warnung kam bei ihrer Hochzeitsfeier, in der alkoholgeschwängerten Rede seines Trauzeugen, eines alten Schulfreundes. Eigentlich gäbe es über den Bräutigam nur eines zu sagen. Dass er endlich jemanden gefunden hätte, der seine Leidenschaft teilt. Lachen im Saal. Und zum ersten Mal ihr irritiertes Lächeln. Ihre verengten Augen. Weil sie es nicht verstanden hatte. Nicht verstanden hatte, was diese Leidenschaft war, die sie doch verstehen sollte. Was wusste sie nicht über ihn? Es brauchte noch Wochen, bis sie Gewissheit hatte, dass es tatsächlich um den Knoblauch ging.
Nicht einmal jetzt, in der Isolation, will sie etwas sagen. Sie würde ihn nur ratlos machen. Hilflos. Elend. Und was sollte er denn tun? Er könnte sie ja nicht einmal mehr ins Gasthaus ausführen, nicht ins Kino, nirgendwohin, wo doch alles geschlossen hat und es überall heißt, man solle das Haus am besten gar nicht mehr verlassen.
Wenn er schon in der Früh aufs Feld geht, obwohl er dort eigentlich nicht allzu viel zu tun haben kann, solange die Knollen nicht reif sind, dann sitzt sie bleich am Küchentisch und versucht, nicht zu weinen. Weil er den Tag lieber mit seinem Knoblauch verbringt. Obwohl sie gleichzeitig froh ist, ihn nicht ertragen zu müssen, vermisst sie ihn. Weil die Einsamkeit noch schlimmer ist.
Dann kommen die Gedanken. Ob ihre Smileys, ihre Glücklichmacher, die Psychopharmaka, die ihr die Frau des Kartoffelbauern besorgt hat, in einer höheren Dosis giftig wären? Eine tödliche Menge Glück. Für sie beide. Endlich etwas, das sie gemeinsam erleben könnten. Unter dem vielen Knoblauch, mit dem er sein Essen zubereitet haben will, würde er ganz sicher nichts schmecken. Aber sie bezweifelt, dass man sich mit Smileys umbringen kann, und in diesem Haushalt gibt es auch sonst nichts, das infrage käme. Nicht einmal Pestizide. Muss er denn ausgerechnet auch noch Biobauer sein? Es bräuchte schon eine ganze Menge Haushaltsreiniger, um mehr als nur eine Übelkeit anzurichten. Das hat sie im Internet nachgelesen.
Ich hoffe, dass es der Frau, dem Mann und dem Knoblauch gutgeht.
Sobald diese Krise vorüber ist, werde ich als erstes in die Trafik gehen, um mir die neueste Ausgabe dieser Zeitung zu kaufen. Ich werde sie aufschlagen, in der Hoffnung ein neues Inserat der Handelskette mit einem neuen Foto des Knoblauchbauern vorzufinden. Mit seinem rotbackig umrahmten glücklichen Strahlen und einem noch größeren Knoblauchzopf. Weil da jetzt mehr Platz ist, neben ihm. Ohne seine Frau. Die sich, kaum dass die Maßnahmen der Regierung gelockert wurden, ins Auto gesetzt hat, um an den Knoblauchfeldern vorbei viele Kilometer weit in die nächste Stadt zu fahren. Sie war knapp davor, sich zu erhängen, hatte den Strick schon geknüpft. Aber sie hat durchgehalten, die Tage, die Wochen. Für diesen Moment. Für den weiten Platz, auf dem das Leben wiedererwacht, umringt von historischen Gebäuden, in deren Geschäftslokalen nach langer Zeit wieder die Lichter der Schaufenster zu leuchten beginnen. Da ist dieser Mann. Obwohl er keinen Meter entfernt von ihr sitzt, auf einem Steinquader neben dem ihren, hat sie ihn unter all den Eindrücken, die so alltäglich sind und doch so frisch, erst gar nicht bemerkt. „Wie glauben Sie, wird das jetzt?“, fragt er und kann den Blick nicht von einem Kaffeehaus lassen, in dessen Gastgarten Kellner die Stühle aufstellen. „Wird das wie früher? Wie unser altes Leben?“ Sie lächelt. Ohne dass sich ihre Augen verengen. Nein, das wird es nicht. Sicher nicht.
31. März 2020
Klaus Oppitz, Wien
KOSTE ES, WAS ES WOLLE
Verschwörungstheroretiker, bitte weitergehen. Es gibt hier nichts zu sehen!
Das Corona-Virus, auch bekannt als Covid-19, auch bekannt als Erreger SARS-CoV-2 ist keine Erfindung. Die bloße Idee, Staaten weltweit, Diktaturen ebenso wie Demokratien, die schon im Normalbetrieb Jahre brauchen, um beispielsweise Handelsabkommen zu schließen, hätten sich faktisch über Nacht zusammengeschlossen, um ihre Bürger hinters Licht zu führen, ist völliger Irrsinn.
Ich gehe sogar halboptimistisch davon aus, dass sich kein Staatsmann nachsagen lassen will, vorsätzlich seine Wähler dahingerafft zu haben. Die allerdings ein eher kurzes Gedächtnis haben und oft nicht realisieren, dass diejenigen, die nun - koste es, was es wolle - Notfallmaßnahmen verordnen, mitunter dieselben sind, die in den Jahren zuvor das Gesundheitssystem zusammengespart haben, das sie nun zu retten versuchen.
Wie auch immer, das Virus ist gefährlich, und was der Bevölkerung jetzt verordnet wird, geschieht zunächst einmal nach bestem Wissen und Gewissen. Haben Sie die Falle bemerkt? Zunächst.
Hier eine Aufzählung der Grundrechte, die seit 16. März in Österreich direkt oder indirekt eingeschränkt oder sogar völlig ausgehebelt wurden:
- Das Recht auf persönliche Freiheit
- Das Recht auf Aufenthaltsfreiheit und freie Wahl des Wohnsitzes
- Das Recht auf Versammlungsfreiheit
- Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
- Das Recht auf Kunstfreiheit
- Das Recht auf Freiheit der Berufswahl und Berufsausbildung
- Das Recht auf Erwerbsfreiheit
Darauf hinzuweisen, ist im Moment nicht rasend populär. Die Angst überschattet alles und je größer sie wird, desto größer wird auch der Wunsch nach einfachen Lösungen. Nach Helden, die das übermächtige Problem aus der Welt schaffen. Koste es, was es wolle.
Genau das darf es aber nicht, alles kosten. Grundrechte und Menschenrechte sind das Fundament einer funktionierenden Demokratie. Darauf gilt es, acht zu geben. Koste es, was es wolle.
Politiker aller Fraktionen haben in diesen Tagen nämlich etwas Wesentliches gelernt: Wie weit eine Gesellschaft zur Selbstaufgabe bereit ist, sofern die Bedrohung stark genug ist. Auch wenn derzeit vieles nach bestem Wissen und Gewissen geschieht, kann die Verlockung nur gewaltig sein, diese Erkenntnis auch nach der Corona-Krise zu nutzen.