Highlights
22. April 2020
Susanne Scholl, Wien
Man fragt sich ja ....
Auch wenn ich mich sehr bemühe, mein Hirn ausgeschaltet zu lassen, manchmal springt es mich ja doch an. Es stellt sich nämlich so einige Fragen.
Wieso reden wir dauernd über die Wirtschaft und nicht über Menschen?
Wieso schauen die Leute böse, wenn man sie anlächelt?
Wieso sind alle plötzlich so patriotisch?
Wieso sind wir bereit, Altenpflegerinnen aus Rumänien und Bulgarien einzufliegen, nicht aber, sie anständig zu zahlen?
Wieso sind wir bereit, Erntearbeiter aus aller Welt einzufliegen, nicht aber, sie anständig zu bezahlen?
Wieso sind wir besorgt wegen der hohen Arbeitslosigkeit, wollen Erntehelfer oder Pflegeassistenten aber nicht so gut bezahlen, dass wir für diese Arbeit inländische Arbeitslose einstellen könnten?
Wieso fragt keiner nach der psychischen Situation von Kindern und Eltern unter Hausarrest?
Mein Hirn stellt also durchaus einige Fragen.
Aber lieber denken wir nicht nach, leben den Tag so gut wie möglich und wollen nicht wissen, was morgen sein wird.
12. April 2020
Susanne Scholl, Wien
Familie
Man darf den Mut nicht verlieren in Zeiten wie diesen.
Sag ich mir jeden Tag. Und tatsächlich funktioniert das sogar.
Ich habe aber auch großes Glück. Meine Schwester schickt mir täglich Videos, die mich zum Lachen bringen. Meinen Bruder und seine Frau rufe ich hie und da an und wir tratschen. Und meine Kinder erkundigen sich häufig, ob ich auch ja nicht aus dem Haus gehe, meine Hände brav wasche, Maske und Handschuhe trage und auf keinen Fall in öffentliche Verkehrsmittel steige – und ob ich etwas brauche. Wenn ich das bejahe, bekomme ich das Gewünschte zur Wohnungstüre geliefert und kann mich ein paar Minuten in zwei Metern Abstand mit ihnen unterhalten.
Familie eben.
Aber ich bin auch mit vielen Freunden gesegnet. Die anrufen, sich erkundigen, wie es mir geht, mit mir über den Zustand der Welt palavern und mich fragen, ob ihre Kinder etwas für mich einkaufen sollen.
Diese Freunde zähle ich auch zur Familie.
Und dann sind da noch die Nachbarn, mit denen ich gemeinsam jeden Abend um 18.00 aus dem Fenster klatsche und Musik vom Handy in die Gasse vor unserem Haus klingen lasse. Die kaufen manchmal für mich mit ein, und ich revanchiere mich, indem ich backe und sie mit Keksen oder Striezel versorge.
Ich lebe in der besten aller Welten in einer gar nicht so guten Zeit.
Meine größte Angst ist, dass ich mich an dieses bequeme Leben so sehr gewöhnen könnte, dass ich mich über das Ende der Isolation womöglich gar nicht freuen könnte. Denn wer gibt Bequemlichkeit schon gerne auf?
6. April 2020
Susanne Scholl, Wien
Selbstgespräche
In Ermangelung besserer Gesprächspartner rede ich in letzter Zeit öfter mit mir selbst. Wobei ich sagen muss, dass ich meistens nicht einer Meinung mit mir bin.
Zum Beispiel, was diesen Text betrifft, mit dem ich mich seit Beginn der Selbstisolation herumplage.
Ich finde, er ist gar nicht schlecht und dient vielleicht wirklich dazu, die Menschen zum diskutieren anzuregen. Ich wiederum bin der Meinung, dass das alles keinen interessiert und sich die Frage stellt, wozu ich das überhaupt schreibe.
Aber es gibt natürlich auch andere tiefschürfende Auseinandersetzungen. Zum Beispiel über die Frage, ob wir alle etwas aus dieser völlig unerwartet über uns hereingebrochenen Ausnahmesituation lernen werden. Ich bin ja skeptisch und fürchte, die Menschen sind eher bereit, sich an Einschränkungen und die Aushöhlung der Demokratie zu gewöhnen, als ihr bequemes Leben vielleicht ein bisschen umzugestalten. Ich andererseits meine, so blöd kann die Menschheit dann doch wohl nicht sein.
Kann sie wohl, werfe ich ein.
Nein, da siehst du zu schwarz. Ich glaube, dass die große Solidarität, die jetzt allseits zu beobachten ist, in den Menschen tatsächlich etwas bewegt.
Ja? Gut, man geht für die Nachbarn einkaufen und hie und da klatscht auch wer um 18 Uhr brav aus dem offenen Fenster (meine Nachbarn und ich zum Beispiel), aber mehr sehe ich da nicht...
Das ist falsch, sag ich zu mir. Überleg doch einmal, wie viele Freunde aus Nah und Fern dich anrufen, seit du alleine zu Hause sitzt...
Ja, antworte ich mir, aber die sind mich auch schon besuchen gekommen, als ich mit gebrochenem Knöchel acht Wochen zu Hause gesessen bin. Das sind eben meine Freunde, aber doch nicht die Mehrheit der Menschen. Die Mehrheit findet es womöglich toll, dass in Ungarn jetzt ganz einfach ein autoritäres Regime Einzug gehalten hat und dass man die Flüchtlinge in Griechenland und auf dem Balkan verkommen lässt... Die wird sich nicht aufregen, wenn die Einschränkungen nach Corona einfach weiter bestehen bleiben...
Du darfst nicht so negativ denken, es geschehen manchmal auch Wunder, und denk nur an die Jungen, die zum Beispiel für den Klimawandel auf die Straße gehen – oder war das dagegen?
Siehst du, sag ich, du weißt nicht einmal wofür oder wogegen die Leute sind. Und was sagst du zu denen, die meinen, das ist eh alles übertrieben?
Darüber will ich jetzt nicht diskutieren, beende ich das unerfreuliche Gespräch und geh in die Küche.
Kochen ist immer gut – und da red‘ ich mir auch nie drein.
29. März 2020
Susanne Scholl, Wien
Nur keine Panik
So – jetzt ist es so weit. Ich wache mit Kopfschmerzen auf. Sofort läuft vor meinem geistigen Auge das entsprechende Schreckensszenario ab. Ich habe mich angesteckt. Was mach ich jetzt? Ich will auf keinen Fall sterben. Wen ruf ich jetzt an?
Nach dem ersten Frühstückskaffee sind die Kopfschmerzen fast verschwunden und ich überzeuge mich selbst davon, dass ich heute Nacht einfach schlecht gelegen bin. Ich nehme ein heißes Bad und mache ein paar lustlose Turnübungen.
Ich habe mich doch nicht angesteckt. Wie hätte ich auch sollen? Seit mehr als zwei Wochen gehe ich nicht mehr aus dem Haus und habe keinerlei Kontakt zu Menschen, die mich hätten anstecken können.
Und trotzdem fürchte ich mich. So wie wahrscheinlich 99,9 Prozent aller Menschen auf der Welt.
Und wie geht man mit dieser Angst um?
Man kann sich sagen, dass lange nicht so viele sterben, wie wir befürchten.
Man kann sich überlegen, wo man wann mit wem Kontakt gehabt hat, der Virusträger sein könnte.
Man kann aber auch einfach beschließen, sich nicht in die Ecke drängen zu lassen.
Ich denke an viele schöne Dinge, die ich gerne tun möchte – „wenn der Spuk vorbei ist“!
Ich hatte einmal schreckliche Angst vor einer komplizierten Operation, und um diese Angst unter Kontrolle zu kriegen, habe ich mir ausgemalt, welche besonders schönen Kleider ich mir später – „wenn das vorbei ist“ – leisten werde.
Es hat geklappt. Ich habe meine Angst damit in Grenzen gehalten.
Jetzt male ich mir aus, wie ich meinen Enkelsohn wieder in die Arme nehmen werde – und die Panik verzieht sich.
So kann man auch überleben.
24. März 2020
Susanne Scholl, Wien
Entschleunigung
Ja, natürlich – diese ewigen Appelle, zu Hause zu bleiben, gehen uns schon auf die Nerven.
Aber – Hand aufs Herz - ist es nicht eigentlich wunderbar, dass man gar nicht mehr nach einer Ausrede suchen muss, um faul zu sein?
Gut vielleicht bin ich ein besonderer Fall. Mein liebster Spitzname war immer schon Couchpotato – also Diwan-Erdäpfel ...
Was ich sagen will: Ich bin grundsätzlich eine Zu-Hause-Hockerin, und das mit Leidenschaft.
Ich freue mich, wenn ich keine Termine habe, ich freue mich, wenn ich einen langen, gemütlichen Tag vor mir habe, an dem ich schreiben kann und kochen und backen und die Katze kraulen und im Fernsehen Blödsinn anschauen und lesen und vielleicht sogar etwas für meinen Enkelsohn stricken.
Vor allem aber telefoniere und whatsappe ich neuerdings mit vielen Freunden, für die ich in den vergangenen Monaten viel zu wenig Zeit hatte. Jetzt haben wir alle Zeit und plötzlich zeigt sich, wer an mich denkt – viele, viele mehr, als ich geglaubt habe – und an wen ich denke. Das ist die positive Auswirkung dieser Entwicklung, die schlimm ist, daran besteht kein Zweifel.
Aber – wir sollten an später denken, an die Nach-Corona-Zeit, und die positiven Auswirkungen der Krise nicht verloren gehen lassen. Wir sollten nach Corona große Feste feiern und die Zuneigung, die wir uns während der Quarantänezeit gegeben haben, nicht vergessen.
Wir sollten solidarisch sein mit jenen, denen es schlecht geht, und immer daran denken, welches Glück wir in diesem großen Unglück hatten.
Das Glück, eine bequeme Wohnung und gute Freunde zu haben.
Das Glück, halbwegs sicher zu sein, wenn wir vernünftig sind.
Das Glück, nicht verfolgt zu werden.
Bleibt zu Hause, wascht euch die Hände, habt euch liebt. Gemeinsam schaffen wir das!
18. März 2020
Susanne Scholl, Wien
Weiterleben in Zeiten von Corona
Seit fünf Tagen gehe ich nicht mehr aus dem Haus. Corona – also quasi die Pest – im 21. Jahrhundert. In Europa – dem weitaus reichsten Landstrich der Welt.
Mir geht es gut. Sehr gut. Ich habe eine bequeme, geheizte Wohnung, ich öffne bei schönem Wetter das Fenster und sehe hinunter auf die menschenleere Stadt. Die Luft ist so gut wie schon lange nicht mehr. Es fahren kaum Autos, der Autobus kommt jede halbe Stunde. Es fühlt sich an wie ein Sonntag im Frühjahr. Im Hintergrund aber läuft das Radio und bringt mir eine Horrormeldung nach der anderen. Wieder ein Toter da, wieder neue Infizierte. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.
Im Internet finde ich jede Menge Witze über die Horter von Klopapier und Küchenrollen. Was ich nur wenig finde sind Berichte aus den Flüchtlingslagern. Berichte darüber, wie sich das aggressive Virus dort ausbreitet, wo die Menschen verzweifelt, elend und sich selbst überlassen sind. Wo die Grenzen geschlossen werden. Wir sind mit uns selbst beschäftigt.
Ich bitte Sie alle – denken Sie weiter. Denken Sie daran, dass Corona uns nicht unsere Menschlichkeit nehmen darf. Denn das wäre die verheerendste Auswirkung dieser Geißel des 21. Jahrhunderts. Im Übrigen: Hände waschen, zu Hause bleiben, gesund bleiben und nicht in Panik verfallen.